Freitag, 20. April 2012

Die Fiedler von Tomnahurich

So, ich habe mich jetzt auch entschlossen, das Märchen hier einzustellen, damit Ihr auch wisst, was es mit dem Blätterhaufen und dem Kreuz überhaupt auf sich hat.
Viel Spass beim Lesen : )


Vor langer Zeit, es muss schon mindestens hundert Jahre her sein, da lebten in Schottland zwei geiger mit Namen Farquhar Grant und Thomas Cumming. Sie waren auf dem Weg nach Inverness, dort hofften sie, durch ihr Musizieren etwas Geld zu verdienen. An einem kalten Winterabend- die Straßen waren schneebedeckt und durch den scharfen Frost fühlte sich die ohnehin schon kalte und feuchte Luft, die vom Wasser herwehte, noch kälter an- kamen die beiden Fiedler endlich in der Stadt an. An einer Straßenecke begannen sie eifrig zu spielen, aber niemand kümmerte sich um die beiden, denn jeder war nach einem Tag harter Arbeit mit sich selbst beschäftigt und wollte so schnell wie nur möglich nach Hause ans warme Herdfeuer.
Enttäuscht und entmutigt- sie hatten sich ihren Einzug in die Stadt doch ganz anders vorgestellt- und ohne einen Pfennig in den Taschen, gingen sie, ohne ein eigentliches Ziel zu haben, langsam die Straße hinunter, die zum Fluss führte. Es wurde jetzt dunkel und die Kälte drang durch ihre schäbigen Kleider bis in ihre müden Knochen. "Was machen wir wohl jetzt? Wir haben nicht einmal Geld, um uns eine warme Suppe zu kaufen!", seufzte Farquhar und Thomas schüttelte verzweifelt den Kopf. "Eine Nacht hier draußen in der Kälte halten wir nie durch!", sagte er.
Doch in diesem Augenblick sahen sie eine hohe dunkle Gestalt auf sich zukommen. Es war ein alter Mann mit einem langen weißen Bart, der da vor ihnen stand. Er trug einen grünen Umhang, der um seine mageren gebeugten Schultern schlotterte, und auf dem Kopf eine eigenartige rote Zipfelmütze. "Farquhar Grant und Thomas Cumming, ihr wollt euch sicherlich etwas Geld verdienen, nicht wahr?" Die beiden wunderten sich gar nicht, dass der Alte ihren Namen kannte, denn sie horchten nur auf, als er ihnen für ihr Musikzieren Geld versprach, Geld, das sie so dringend benötigten. Und als Farquhar und Thomas eifrig nickten, fuhr der Alte fort: " Wenn ihr mir und meinen Leuten heute Abend zum Tanz aufspielen wollt, gebe ich euch einen ganzen Beutel mit Gold!" Das ließen sich die beiden Musiker nicht zweimal sagen und stimmten sogleich freudig zu. "Nun, dann folgt mir!", sagte der Alte. Er führte die beiden über eine hölzerne Brücke, die den Fluss überspannte, und dann hinauf zum Hochmoor, über das der Nebel gespentisch rollte, hin zu einem Hügel, der sich in der flachen Landschaft wie ein umgedrehtes Boot ausnahm.
Am Fuße dieses Hügels angekommen, klopfte der Alte dreimal mit seinem rechten Fuß auf den Boden. Es hörte sich unheimlich dumpf an, so als befinde sich eine riesige Höhle unter ihnen. Dann öffnete sich eine Türe, die vorher nicht dagewesen war, und die Musiker wurden von einem Diener in eine hohe Halle geführt, die von vielen tausend Kerzen erhellt war. An den Wänden standen lange Tische, an denen Männer und Frauen saßen und sich an den herrlich duftenden Speisen labten, und unter den großen Kerzenleuchtern tummelten sich unzählige Leute, alle in Grün gekleidet.
Jetzt erst merkten Farquhar und Thomas, dass diese Leute um sie herum alle viel kleiner waren als gewöhnliche Menschen, aber viel Gedanken machten sie sich nicht darüber, denn jetzt erst merkten sie, wie sehr ihnen der Magen knurrte; als der Alte sie zu den Tischen führte, warteten sie nicht lange, sondern aßen und tranken nach Herzenslust. Nachdem sie gesättigt waren, fingen die beiden an, auf ihren Geigen gar lustig zu spielen. Unermüdlich stimmten sie eine Melodie nach der anderen an und freuten sich, dass die Leute um sie herum so fröhliche Sprünge machten, es war eine Freude, ihnen zuzusehen.
Als der alte Mann auf einmal auf sie zutrat, waren sie sehr erstaunt, dass die Nacht so schnell vergangen war. "Der neue Tag ist angebrochen, Thomas und Farquhar!", sagte er, "es ist Zeit für euch zu gehen.!" Ja, das lustige Treiben war zu Ende, alle die fröhlich herumspringenden Leute waren auf einmal verschwunden und die unterirdische Halle sah auf einmal kalt und kahl aus. Der alte Mann begleitet die beiden Musiker an die Türe und bevor er sie öffnete, übergab er ihnen einen Beutel mit Gold als Lohn für ihr Spiel. "Gott segne dich!", rief Thomas voll Dankbarkeit aus, denn jetzt hatten sie für ein Weilchen ausgesorgt. Aber kaum, war das Wort "Gott" aus seinem Munde gekommen, da verschwand der Mann mit einem Donnerschlag und als die beiden sich erschreckt umblickten, war auch die Türe verschwunden. Nur ein paar dornige Sträucher standen da, wo eben noch der Eingang gewesen war.
Langsam gingen sie den Weg zurück über das Hochmoor, das jetzt so ganz anders aussah als am Abend zuvor.
Doch als sie in die Stadt kamen, rissen sie die Augen ordentlich auf, denn während dieser langen Nacht hatte sich vieles so verändert, dass es kaum wieder zu erkennen war. Auch die alte hölzerne Brücke, die halb verfault gewesen war und aussah, als würde sie nur noch duch den rankenden Efeu zusammengehalten, war nicht mehr da, an ihrer Stelle stand eine solide steineren Brücke mit vielen schlanken Pfeilern. Die Häuser, die sich windschief aneinander gelehnt hatten, waren auch nicht mehr dieselben und die Leute, denen sie begegneten, trugen Kleider, die ihnen ungewöhnlich und fremd erschienen. Und sie bemerkten auch, wie gerade diese Leute sich nach ihnen umdrehten, mit den Fingern auf sie zeigten und sich über sie lustig machten. Da wurde über die altmodischen Röcke und Mäntel gelacht, die die beiden Männer trugen, und man hänselte sie wegen ihrer breiten Hüte, die doch schon längst aus der Mode gekommen waren. Aber noch mehr amüsierten sich die Leute über die dummen Fragen, die die beiden Musiker stellten. man konnte sich einfach nicht vorstellen, warum Thomas und Farquhar nicht wussten, was doch für alle anderen so klar war.
Betrübt machten sich die beiden auf den Heimweg. Sie hatten ja jetzt genug Geld in der Tasche und wollten wieder zurück in ihr Heimatstädtchen. Da kamen sie an dem Friedhof vorbei, wo sie einen Augenblick eintraten, um noch schnell ein kurzes Gebet für die Toten zu sprechen. Ihr Auge fiel auf zwei Grabsteine: "Thomas Cumming" stand auf dem einen und "Farquhar Grant" auf dem anderen und auf den efeubewachsenen Grabsteinen nebenan waren die Namen ihrer Freunde und Bekannten eingemeißelt.
Zusammen betraten sie die kleine Kirche, in der in diesem Augenblick der Pfarrer den Segen aussprach, und da zerfielen die beiden Musiker vor den Augen der erstaunten Gemeinde zu Staub. Das Gold der Elfen aber- denn es waren solche, bei denen die Musikanten zum Tanz aufgespielt hatten- lag daneben: ein Häufchen goldener Herbstblätter, die trocken raschelten, als der Wind durch die offene Kirchentüre blies.
Die beiden Musikanten hatten nicht nur eine Nacht den Elfen zum Tanz aufgespielt, sondern ganze hundert Jahre.

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